• Blick ins Karwendeltal

Eis, Salz und viele Hörner

Samstag, 16. Juli 2022 - Donnerstag, 21. Juli 2022

Der Klimawandel zwingt den Bergsteiger bei Hochtouren, besonders in Gletscherregionen, sein übliches Verhalten zu prüfen und ggf. zu ändern. Schneearme Winter und heiße Sommerwochen sind als normal einzustufen. Im Hochgebirge sorgen sie für instabilen Untergrund und vielfältige kritische Verhältnisse. Vermeintlich einfache Touren werden risikoreicher, die meisten Gletscher apern schneller als erwartet – schlimme Unglücksfälle, wie der Gletscherabbruch an der Marmolata, könnten sich häufen. Die Bergführerbüros in Chamonix und Zermatt reagierten bereits Anfang Juli und stellten ihre Angebote zu Führungen auf ihre Hausberge Mont Blanc und Matterhorn vorübergehend ein.

Zum Glück konnten wir, vom Alpenverein, unsere geplanten Touren sicher und unfallfrei durchführen.

Die Idee für die Besteigung des Nadelhorns hatten wir schon länger im Kopf. Hierzu war die Mischabelhütte als Stützpunkt geplant. Aber Michael hatte uns beim letzten Treff auch von seiner Hochtour ab der Bordierhütte erzählt. Diese wäre als Stützpunkt deutlich weniger frequentiert und für die Höhenanpassung und zum Eingehen hätte man mehr Möglichkeiten. Beim ersten Planungs-treff, Anfang des Jahres, war die Terminfestlegung zum Pizzaessen schon eine organisatorische Meisterleistung. Letztendlich schafften es Patric, Pierre und ich, die Tour im Detail zu besprechen. Als mögliche Eingehtour bot sich der Hausberg der Bordierhütte an, das Kleine Bigerhorn, auch bei Schlechtwetter zu begehen. Bei Bergwetter das Große Bigerhorn, der Balfrin und als Prio 1 das Nadelhorn, über Ulrichshorn und Windjoch. Optional Stecknadelhorn oder Nadelgrat insgesamt.  

Der Plan ist gut, aber nach der Absage von Martin und Pierre sind Patric und ich wieder mal das Dreamteam. In Grächen, einer kleinen Gemeinde oberhalb von St. Nikolaus im Mattertal, beziehen wir unser erstes Domizil im Ferienhaus Allalin. Bei Pasta, Pesto und an guad´n  Stopselbier genießen wir den Abend.  

Der Zustieg von Grächen zur Bordierhütte ist mit ca. 5 Std. beschrieben. Während des Aufstiegs tauchen wir in das inszenierte Suonen-Erlebnis „Zauberwasser“ ein. Diese Region ist die Niederschlagsärmste der ganzen Schweiz, seit jeher ist deshalb die Landwirtschaft darauf angewiesen, das Wasser vom Riedgletscher-/bach mit Hilfe von Suonen (Wasserleitungen) auf die Äcker und Felder zu leiten. Gerne würde man hier länger verweilen, denn die mit Moos und Farnen bewachsenen Lärchen geben dem Weg einen Hauch von Märchenwaldcharakter. Die Etappe ist abwechslungsreich, aber selbst den Walliser Schwarznasenschafen ist es heute zu heiß. Bis auf ein Tier haben alle einen schattigen Platz gefunden. Wir bedauern das Schaf, schwitzend steigen wir weiter bis zum Gletscherüberhang. Nach dessen Querung führt uns der Pfad bis zur Bordierhütte. Nathalie, die Hüttenwartin, begrüßt uns herzlich und zeigt uns gleich das Lager für die nächsten Tage.  Die Unterkunft ist schön gelegen und wird äußerst freundlich geführt, man fühlt sich geborgen und willkommen. Wir beschließen heute noch das Kleine Bigerhorn zu besteigen und hierbei den Weg für den nächsten Tag zu erkunden.  

Das Kleine Bigerhorn (3182m) ist von der Hütte  in ca. 1 Std. gut zu erwandern, leichtfüßig geht’s über Block- und Schuttgelände in Serpentinen bis zu einem Sattel zwischen Großen und Kleinen Bigerhorn, von wo wir in wenigen Minuten auf dem Gipfel sind.  Wir genießen die Aussicht, gut einsehbar der Weg zum Balfrin, unser Ziel für Morgen. Beim Abendessen fragt die Wirtin gleich nach der Frühstückszeit. Zwei, vier oder sieben Uhr?  Für die Überschreitung des Großen Bigerhorn (mit Balfrin) sollte 4 Uhr ausreichen.

Gegen 04.30 h brechen wir auf, unsere Stirnlampen und die befestigten „Katzenaugen“ im Blockgelände sind in der Dunkelheit sehr hilfreich. Wir erreichen den bereits erwähnten Sattel, dann wandern wir über einen breiten Rücken auf das Große Bigerhorn (3626). Technisch ist der Anstieg problemlos, aber der Weg zum Gipfel zieht sich langatmig dahin.  Patric und Ich folgen anschließend dem Gipfelgrat in südliche Richtung. Bei richtiger Wegbegehung wird hierbei der I. Grad nie überschritten.   Der blanke Firngrat steilt beeindruckend auf.  Ohne Seil bewältigen wir dieses kurze Steilstück mit Hilfe von Steigeisen und Pickel. Danach flacht das Gelände etwas ab und wir erreichen den etwas niedrigeren Nordgipfel. Über eine weitere Scharte zum Südgipfel und von dort auf den Balfrin (3796 m). Am Gipfel treffen wir noch einen Schweizer Bergführer mit Kundschaft, sie sind über den Riedgletscher, in umgekehrter Richtung, die gleiche Tour gegangen. „Immer schön im Eis bleiben, dann fallt Ihr in keine Spalte“ sagt er uns im besten Schwyzerdütsch. Das Panorama vom Balfrin auf die umliegenden 4000er ist überwältigend, wir genießen diese Augenblicke. Nach einem kräftigen Schluck steigen wir entlang des Grates in Richtung Riedpass ab. Der Riedgletscher hat trotz Schwund noch einiges zu bieten und so steigen wir durch die ersten Spaltenzonen in den Bruch runter.  Am rechten Rand löst sich die Bruchzone nicht ganz auf, zwischen hohen Eisblöcken und zerrissenen Spalten finden wir doch noch unseren Weg ins flachere Gelände. Auf einer geschliffenen Platte steht ein Stoamandl,  der erste Hinweis zum Rückweg zur Hütte.

Wir Menschen brauchen nach einer langen Tour wieder Salz für den Körper, deshalb bringt eine leckere Gemüsesuppe auf der Hütte den Haushalt wieder ins Gleichgewicht. Auch Steinböcke brauchen Salz, dazu wird von der Hüttencrew ein bisschen nachgeholfen. Es dauert nicht lange bis die ersten Steinböcke bei der Hütte erscheinen und wie versessen das Salz von den Blöcken abschlecken.  Eigentlich wollte Nathalie dieses Ritual von den Vorpächtern der Hütte nicht übernehmen, aber die Steinböcke waren so hartnäckig, dass sie beinahe durch die Fenster in die Hütte sprangen. Jetzt kommen sie täglich zur angenehmen Tageszeit an die Hütte und schlecken das Salz von den Felsen. Für die Gäste ist dies ein besonderer Moment, aus wenigen Metern lassen sich großartige Bilder von den Tieren machen.

Für unseren Hauptgipfel voraussagt der Wetterbericht nochmal TOP Wetter. Wecken ganz wichtig! 5 Minuten vor zwei Uhr Frühstück. Kurz nach halb drei brechen wir bei sternenklarer Nacht in Richtung Riedgletscher auf. Es erfordert unsere volle Konzentration, um mit der Stirnlampe über die Steilstufe im Gletscherbruch den richtigen Weg durch das Labyrinth zu finden. Ein gutes Omen, als wir über dem Nagelgrat am Firmament eine Sternschnuppe sehen; „wünsch dir was“, und schon geht’s weiter. Langsam wird es heller, um nur wenig an Höhe zu verlieren machen wir einen kleinen Bogen in Richtung Ulrichshorn. Zu Beginn steilt es gut auf, einige Spalten können wir umgehen, bevor es, über einen mit Wechten bedeckten Firngrat, zum Gipfel des Ulrichshorn (3925 m) geht. Die Sonne ist schon da, nun stehen wir auf diesem grandiosen Aussichtsgipfel und genießen den Blick in die 4000er Welt des Wallis. Unser Zeitplan ist straff und wir steigen ins Windjoch hinab, um von dort   über den ausgesetzten Firngrat und abgegriffenen Fels (II Grad), die letzten fast 500 Hm bis zum Nadelhorn (4327m) aufzusteigen. Vom Gipfel des Nadelhorn können wir bis zum Mont Blanc schauen. Die ganze Prominenz an 4000ern reiht sich um uns auf. Die überwältigende Aussicht genießen wir bei unserer wohlverdienten Gipfelbrotzeit. Der Abstieg verlangt nochmal vollste Aufmerksamkeit und sicheres Gehen mit Steigeisen.

Der Gletscher wird im Bereich des Riedpasses richtig weich und wir sinken immer wieder bis zum Knie ein. Nichts ist mehr fest, man sieht und hört es - aus der Westseite des Balfrin poltert es fleißig herab.  Trotz der Hitze und der schlechten Bedingungen am Gletscher sind wir im Abstieg deutlich schneller – auf der Hütte wartet ein kühles Weißbier.

Nach diesen großartigen Hochtouren machen wir auf der Heimfahrt Einkehr im kleinsten Dorf der Schweiz. In Zumdorf, an der Furkastraße, lebt nur eine dreiköpfige Familie, welche das Restaurant „Zum Dörfli“ betreibt. Dort essen wir eine kräftige Brotsuppe nach „Uri-Art“ mit köstlichen Rösti-Spezialitäten. Einen besseren Abschluss zum Ende hätte es nicht geben können.

immer schön vertikal steigen.

Stephan Thalmayr

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