• Bergpanorama

Donnerstag, 19. Februar 2015

Berg-, Höhen- und Expeditionsmediziner in unserer Sektion

Alpinärztekurse 2014:
Berg-, Höhen- und Expeditionsmedizin (International Diploma in Mountain Medicine)

„Mittlerweile, so schätzt die WHO, suchen weltweit jährlich etwa 40 Millionen Reisende große und extreme Höhen auf. Rund 420 Millionen Menschen leben ständig in Gebirgsregionen, mehr als 40 Millionen davon in Regionen oberhalb der 2500 m sowie 25 Millionen in Höhen über 3500 m Seehöhe. Das bedeutet, dass mehr als 180 Millionen Menschen dem Höhenrisiko ausgesetzt sind, und jedes Jahr werden es mehr.“ (1)
Dieser Auszug aus dem Handbuch der Trekking- und Expeditionsmedizin veranschaulicht die Bedeutung, die heutzutage der Erforschung, Weiterentwicklung und vor allem der Anwendung der Berg,- Höhen- und Expeditionsmedizin und deren physiologischen Grundlagen zukommt.
Verfolgt man die mediale Berichterstattung diesbezüglich, wirkt die medizinische Versorgung in großen und extremen Höhen meist als frustrane Bergung toter Höhenbergsteiger. Die katastrophalen Ereignisse am 8163 m hohen Manaslu im Jahr 2012 mit 11 Toten, sowie die 16 toten Sherpas am Mt. Everest (8848 m) 2014 haben diese Sichtweise kürzlich erst wieder verfestigt. Dass die Höhenmedizin, neben der statistischen Auswertung von Unfall- und Todesraten einzelner 8000er, weit mehr zu bieten hat und ein unglaublich interessantes und vielseitiges Fachgebiet der Medizin darstellt, sollte hierbei allerdings nicht vergessen werden.
Da ich persönlich bisher weniger vom Höhenbergsteigen als vielmehr vom Sportklettern und Bouldern fasziniert war, begann ich im vergangenen Jahr, meine Facharztweiterbildung zum Orthopäden/Unfallchirurgen am offiziellen sportmedizinischen Stützpunkt des DAV, dem Klinikum Bamberg (CA Prof. Dr. med. W. Strecker). Herr Prof. Dr. med. V. Schöffl (Leitender Arzt der Sektionen Sportorthopädie, -traumatologie, -medizin, Chirurgie der oberen Extremität) ist einer der weltweit renommiertesten Kletter-Sportmediziner und Kaderarzt verschiedener Deutscher Nationalmannschaften (Sportkletter-Nationalmannschaften, div. Expeditions-Kader, Nationalmannschaft der Skibergsteiger, usw.)
Neben dieser klinischen Tätigkeit begann ich im Januar dieses Jahres darüber hinaus, die Zusatzbezeichnung zum Berg,- Höhen und Expeditionsmediziner zu erwerben. Diese, gemeinsam von der ÖGAHM (Österreichische Gesellschaft für Alpin- und Höhenmedizin) und
BExMed (Deutschen Gesellschaft für Berg- und Expeditionsmedizin) organisierten und international anerkannten Lehrgänge, finden seit 1992 statt und gelten mittlerweile als die weltweit größte Alpinärzteausbildung; Sie sind vom Weltbergsportverband (UIAA), der Internationalen Kommission für alpines Rettungswesen (IKAR) und der International Society for Mountain Medicine (ISMM), sowie von der Österreichischen und der Bayerischen Ärztekammer offiziell approbiert, in enger Kooperation mit den Universitäten Salzburg und Innsbruck (Institute für Sportwissenschaften) und dem Österreichischen Bergrettungsdienst veranstaltet, und für das österreichische und deutsche Sportarztdiplom, als Notarzt-Fortbildung, sowie auch als akkreditierte Diplomfortbildung der Österreichischen und der Bayerischen Ärztekamme,r EU-weit anrechenbar. Anders als bei anderen Veranstaltern wird bei den deutsch-österreichischen Kursen eine dreiwöchige Ausbildung gefordert; andere Länder, wie z.B. die Schweiz, lehren in nur zwei Wochen. Nach erfolgreicher Teilnahme an allen drei (einwöchigen) Kursen erfolgt die Zulassung zur Teilnahme an einer Diplomprüfung zum Erhalt des International Diploma in Mountain Medicine, ein weltweit anerkanntes und gefordertes Diplom für Höhenmediziner.
Winterlehrgang Januar 2014:
Der erste der drei Kurse findet im alpinen Ausbildungszentrum der Planneralm (Niedere Tauern) unter der Leitung des bekanntesten Höhenmediziners des deutschsprachigen Raums, Herrn Dr. med. W. Schaffert, statt und hält sich thematisch an die winterliche Umgebung der Planneralm. Der insgesamt als sehr „schneearm“ deklarierte Winter 2014 zeigt während der Ausbildungswoche im Januar seine niederschlagsreiche Seite, und so freuen sich 40 angehende Höhenmediziner, ca. 10 Dozenten und 8 Bergführer über knapp 3m (!) feinsten Neuschnee. Theoretische Schwerpunkte sind in den folgenden Tagen die Hypothermie und Lawinenmedizin, Strahlenschäden an Haut und Augen im Gebirge, Alpine Traumatologie, Höhenphysiologie, Medizin der großen und extremen Höhen, Höhentrekking und Höhenbergsteigen, Alpine Reisemedizin, Grenzen der Leistungsfähigkeit im Alpinsport in verschiedenen Höhen und die orthopädischen Erkrankungen & Schäden beim Bergsteigen und Sportklettern. Die alpinmedizinischen Praxisübungen befassen sich mit der ärztlichen Erstversorgung am Unfallort, der ärztlichen Betreuung im Notbiwak, der Lawinenrettungsmedizin, mit Überlebensstrategien im alpinen Gelände sowie mit der hyperbaren Therapie im Gelände bei akuter Höhenkrankheit. Was sich nach einem anstrengenden und tagelangen Vortragsmarathon anhört, entpuppt sich bereits am ersten Tag als sensationell organisiertes Schulungsprogramm mit einer optimalen Mischung aus Praxisübungen, ausgiebigen Skitouren, feinsten Abfahrten in unberührtem Tiefschnee und allabendlichen Vorträgen. Geführt werden je sechs Teilnehmer von einem Bergführer; deren
Oberhaupt ist übrigens seit jeher Klaus Hoi, welcher dem ein oder anderen aufgrund seiner unzähligen bekannten Erstbegehungen in den Alpen ein Begriff sein mag.
Die Aussage „Es ist leichter, aus einem guten Bergsteiger einen guten Arzt als aus einem guten Arzt einen guten Bergsteiger zu machen“ (Kurt Diemberger) wird hier eindrücklich widerlegt: ich lerne in 7 Tagen viel neues, baue Biwaks, suche Lawinenverschüttete bis zur Erschöpfung, lege mich in eine hyperbare Kammer („Drucksack“), erstelle Schneeprofile, löse ein ABS-Avalanche Airbag System aus und beurteile Hänge auf das Lawinenrisiko hin.
Wolfgang Schaffert gelingt es darüber hinaus, mit seinen Vorträgen -trotz allgemeiner Erschöpfung- uns allabendlich zum Staunen zu bringen: Als einer der ersten hatte er bereits in den siebziger Jahren höhenmedizinische Studien an Achttausendern durchgeführt, für welche man selbst in einer mitteleuropäischen, maximalversorgenden Klinik ein gewisses Maß an Selbstvertrauen bräuchte. Er selbst war dabei mehrfach auf Gipfeln jenseits der 8000 m Grenze gestanden.
Frühjahrslehrgang Juni 2014:
Der zweite Kurs führt uns im Juni auf die Adamekhütte (Gosau) am Dachstein. Erneut aufgeteilt in Theorie und Praxis, handelt es sich diesmal um alpinistische Leistungsphysiologie und Sportmedizin, die alpinistischen Eignungskriterien aus internistischer Sicht, das Bergsteigen mit internistischen Vorerkrankungen (der Kranke am Berg, etc.), internistische Notfälle im Gebirge, physiologische Überlebensstrategien im Gebirge, alpine Reisemedizin, Physiologie und Medizin der mittleren bis extremen Höhen, sowie Sportmedizin der Kinder- und Jugendalpinistik. Die alpinmedizinischen Praxisübungen beinhalten diesmal die Erstversorgung am Unfallort, die behelfsmäßige Bergrettungstechnik und den Abtransport aus unwegsamem Gelände. Darüber hinaus gibt es jeden Tag alpines Klettern rund um den Dachsteingletscher, mobilen Standplatzbau, Bergung bewusstloser Seilpartner über mehrere Seillängen hinweg, Spaltenbergung, Sturzübungen in T-Anker und Steckpickel-Sicherungen und jede Menge weiterer praktischer Gletscherkenntnisse.
Wie bereits im Winterkurs bin ich auch im Frühjahr wieder einem, wegen seiner sehr direkten und oft strengen Art berüchtigten und gefürchteten Bergführer namens Joe Rainer zugeteilt. Nachdem ich bei den vorausgegangenen Skitouren bereits des Öfteren Tadelungen in bester Grundschulmanier erfahren hatte („Geh‘ Christoph sag: bist du eigentlich deppert, ha?“) bin ich beim aktuellen Kurs schlauer, verhalte mich immer demütig und schmunzle in mich hinein, wenn andere in die gleichen Fettnäpfchen tappen, wie ich einige Wochen zuvor.
Um das Ganze aber wieder ins rechte Licht zu rücken: selten habe ich einen so begeisterten Bergführer erlebt; gerade wegen der strengen, akribischen und stets sehr fordernden Art lernen wir in kurzer Zeit erneut unglaublich viel Neues und können abends die anderen Gruppen mit unseren absolvierten Touren beeindrucken. Bei strahlendem Sonnenschein spürt
man jeden Tag aufs Neue, welche Begeisterung die Berge bei uns allen, bei machen sogar nach 30 Jahren Bergführertätigkeit, noch auszulösen vermögen.
Sommerlehrgang September 2014:
Der letzte der drei Kurse findet auf der Franz-Senn-Hütte im Stubaital statt. Thematische Schwerpunkte diesmal: Die Tourenapotheke für den Bergsteiger und den bergsteigenden Arzt, Unfallkunde der Alpinistik, Psychologie des Bergsteigens, Geschichte und Entwicklung der Berg- und Flugrettung, Anforderungskriterien an den Bergrettungs-/Bergwachtarzt, alpine Notfallmedizin, terrestrische Bergrettungsmedizin, Blitzschäden, Möglichkeiten und Grenzen der Flugrettung im Gebirge, der ärztliche Flugrettungseinsatz und Anforderungskriterien an den alpinen Flugrettungsarzt. Die Praxisübungen sind in diesem Kurs u.a. als Stationen rund um die Hütte aufgebaut; die Themen - Ärztliche Erstversorgung am Unfallort, Spaltensturz, Hängen im Seil, Terrestrische Bergrettungs- und Abtransporttechniken - werden uns also wiederum in Kleingruppen gezeigt und dann von uns angewendet. Jeder, der schon mal an 200 m Stahlseil, mit einem Verletzen in einem Akja (Rettungstrage) vor seiner Brust hängend, abgeseilt wurde, oder 80 m breite Felsspalten samt verletzter Person an einem Drahtseil überquert hat, weiss, was das für abenteuerliche Unternehmungen sind! Auch in diesem Kurs wird wieder eine gute Mischung aus theoretischen und praktischen Übungen sowie aktivem Bergsteigen, Eisklettern, alpinem Klettern und Sportklettern gefunden. Mit dem ersten Schneefall des beginnenden Winters steigen wir nach der letzten Ausbildungswoche schließlich von der Hütte ab; Um die Worte von Kurt Diemberger zu hinterfragen bzw. zu widerlegen: Nach drei Wochen praktischer Ausbildung in den Bergen sind wir jedenfalls alle deutlich besser Bergsteiger mit einer nun breit gestreuten und gut fundierten Ausbildung geworden.
Nachdem die theoretische und praktische Ausbildung zum Berg-, Höhen- und Expeditionsmediziner nun abgeschlossen ist, besteht die Teilnahmeberechtigung an der Diplomprüfung. Diese findet im November 2014 im Rahmen der Jahrestagung der ÖGAHM & BExMed in Obergurgl statt.
Ich reise gemeinsam mit meinem Kollegen Raimund Hofmann (Klinik für Notfallmedizin und Internistische Intensivmedizin, Klinikum Nürnberg) an, mit welchem ich bereits den Winter- und Sommerkurs absolviert hatte. Während der 4-stündigen Anfahrt werde ich von ihm nochmals intensiv gebrieft; Man muss wissen: Raimund ist Internist; dementsprechend hat er sich akribisch über Wochen hinweg mit dem Thema auseinandergesetzt, jedes der hunderte Seiten starken Skripte mehrfach gelesen und zusammengefasst, zusätzlich Bücher gekauft und gelesen, usw. Ich dagegen gehe es in bester Unfallchirurgen-Manier pragmatischer an: Skript überflogen, Bestehensgrenze und Statistik der letzten Jahre geprüft; „passt!“ denke ich mir.
Ich staune also vier lange Stunden lang was er alles weiss, bzw. was ich schon wieder alles vergessen habe. Aber egal, wird man schon bestehen…
Die Prüfung ist letztendlich gut machbar, uns bleiben sogar noch ein paar Minuten, um uns nochmals intensiv mit der ein oder anderen Frage auseinander zu setzten (der kritischer Leser versteht was ich meine …). Dementsprechend ist es mir am Folgetag etwas unangenehm, als mir eine Auszeichnung als Jahrgangsbester überreicht wird. Mein Unbehagen darüber lässt sich dem Präsidenten der Organisation natürlich nur schwierig auf der Bühne vermitteln; ich versuche es trotzdem irgendwie und sorge für den Lacher des Abends…
Für Fragen, Informationen zur höhen- und bergmedizinischen Beratung usw. stehe ich selbstverständlich jederzeit gerne zur Verfügung;
Ein Video der Kurse findet sich unter https://vimeo.com/106068366.
Erlangen, Dezember 2014
Dr. med. Christoph Lutter

(1) Berghold F. et al., Handbuch der Trekking- und Expeditionsmedizin. 2009:11-12.
http://www.bexmed.de/
http://www.alpinmedizin.org/

Loading...