• Blick ins Karwendeltal

Wilde Grate im Hochstubai

Sonntag, 11. Juli 2021 - Mittwoch, 14. Juli 2021

Westalpenfeeling im Hochstubai Von der Amberger Hütte aus ins Gratabenteuer

Patrics und meine nächste Unternehmung sollte die „Wilde Leck“, ein Klassiker der alpinen Kletterei mit garantiertem „Westalpenfeeling“ im Hochstubai sein. Wir planten, von der Amberger Hütte (2.135 m) aus fünf Tage lang attraktive Gipfel in Angriff zu nehmen. Jetzt musste nur noch das Wetter passen! Als wir losfuhren, regnete es allerdings in Strömen und der Zustieg wurde zum Test der Jacken und Hosen. Alles dicht, zum Glück! Auf der Hütte mussten wir feststellen, dass der Wetterbericht für die kommenden Tage keine wirkliche Besserung verhieß. Ganz im Gegenteil, der Regen sollte noch stärker werden, was sich sehr schnell am anschwellenden Sulzbach zeigte. Die ganze Nacht hatte es durchgeregnet, was zu zahlreichen Murenabgängen im Tal führte. Der Fahrweg zur Amberger Hütte war nicht mehr passierbar, der Sulzbach war so stark angeschwollen, dass die „Hintere Sulztalalm“ zum Teil überflutet wurde und die Brücke für Fußgänger und Radfahrer nicht mehr passierbar war. Gefangen auf der Hütte bekamen wir hautnah mit, wie die Zuleitung zum Wasserkraftwerk weggerissen wurde und der gute alte Diesel am Tag für die Stromversorgung herhalten musste. In der Nacht wurde das Aggregat ausgeschaltet und es wurde ruhig und dunkel in der Hütte. Für den Montag, 19. Juli, war endlich gutes Wetter angesagt, und wir machten uns nach dem Frühstück zur „Mutterberger Seespitz“ auf. Beim Zustieg zum „Bockkogelferner“ musste man den Schwarzenbergbach über eine Holzbrücke passieren, die leider in der Mitte durchgebrochen war. Es dauerte etwas, bis wir an geeigneter Stelle einen Übergang fanden. Wie sich später herausstellte, waren wir die Ersten in diesem Jahr, die auf die „Mutterberger Seespitz“ stiegen. Ein schönes Gefühl, weil es keine Spuren auf dem Gletscher gab und die Orientierung mit Wegfindung unser Wissen forderte. Über den mäßig steilen Gletscher fanden wir an markanter Stelle den Einstieg in den SW[1]Grat. Dieser ist zum Teil an den Schlüsselstellen mit Bohrhaken versehen und wir können diesen fast bis zum Gipfelaufbau im besten Felsen im II-III Grad klettern.

Um Zeit zu gewinnen, entscheiden wir uns beim Abstieg auf ein gleichzeitiges Absteigen und legen dazu das Seil über markante Felsköpfel. An den Schlüsselstellen seilen wir uns schnell und sicher ab. Der Hochdruckeinfluss machte sich immer mehr bemerkbar und wir entschließen uns, an unserem vermeintlichen Abstiegstag die „Wilde Leck“ zu machen. In der sternklaren Nacht des 21. Juli 2021, kurz nach 3 Uhr, brechen wir in Richtung „Sulztalferner“ auf. Den Weg kennen wir zum Glück von den Vortagen und mit Stirnlampen gab es keine Probleme bei der Orientierung in der Dunkelheit.

Man wird sehr oft gefragt, warum man sich diese Strapazen antut. Aber spätestens, wenn ein neuer Tag anbricht, die Sonne langsam aufgeht und die Berge leicht rotgolden erstrahlen, sollte es jedem klar sein. Patric und ich genießen diese ganz besonderen Momente und machen es uns an unserem Brotzeitplatz am Einstieg des Ostgrates der „Wilden Leck“ bequem. Die ersten Längen des Grates klettern wir ohne Seil und nutzen dieses erst, als wir an einen ausgesetzten Reitgrat kommen. Für das Klettern des Ostgrates ist ein 50m Seil ausreichend, es sind genügend natürliche Möglichkeiten zum Sichern vorhanden. Die Schlüsselstelle der Tour bildet eine Platte mit „Piazriss“ unterhalb eines Gratturmes im IV Grad. Wenn man den Turm gleich direkt überklettert, ist es vermutlich eine glatte e Beim markanten „Gendarmen“, der manchen Buchumschlag ziert, machen wir unser obligatorisches Foto. Es ist ein imposantes Panorama mit dem noch großen „Sulztalferner“ im Hintergrund. Die letzten Seillängen bis zum Gipfel sind nochmal im III Schwierigkeitsgrad. Oben sind wir von der herrlichen Aussicht überwältigt. Überraschend taucht plötzlich Christian am Gipfel auf. Er ist mit dem Fahrrad zur Hütte geradelt und hat nun schnell die „Wilde Leck“ gemeistert. Respekt! Für den Abstieg gibt es eine neue Variante, weil die alte nach einem Felssturz nicht mehr zu empfehlen ist. Diese Route ist sehr gut mit roten Pfeilen markiert und führt über den Südwestgrat in eine Scharte. Hier muss man eine Schneerinne queren, anschließend zum „Wilden Leck Ferner“ und über den „Sulztalferner“ zurück zur Hütte absteigen. An der Hütte angekommen brennen nicht nur die Fußsohlen, sondern auch die Kehlen. Eine Maß Radler löscht auch diesen Brand und wir können den weiteren Abstieg und Heimweg fortsetzen.

Text & Bilder: Stephan Thalmayr

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